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Warenhaus von Galeria Karstadt bei Nacht

Leerstand im Großformat: Wenn die Warenhäuser schließen

Immer mehr Warenhäuser werden geschlossen, immer mehr Großimmobilien in den deutschen Innenstädten stehen leer. Im Rahmen der jetzt beschlossenen Übernahme von Galeria Karstadt Kaufhof (GKK) gehen bei weiteren Standorten noch in diesem Sommer die Türen zu. Die Eigentümer der Immobilien stehen vor schwer lösbaren Nachbelegungsherausforderungen, den Innenstädten droht der Verlust von Anziehungskraft und das Entstehen neuer Unorte.

Es gibt Beispiele für erfolgreiche Transformationen solcher Großimmobilien, aber es zeigt sich: Jede Lösung ist so individuell wie der Charakter einer Stadt. Copy-Paste wird nirgendwo eine Option sein. Es schlägt die Stunde der proaktiven Stadtverwaltungen.

Kurzfassung:

Viele Städte kämpfen mit Leerstand in Großimmobilien. Bekanntestes Beispiel: die ehemaligen Warenhäuser von Galeria Karstadt Kaufhof. Retail-Experte Mathias Sander zeigt, welche Ansätze und Chancen Stadtverwaltungen jetzt nutzen können.

Auswirkungen auf Einzelhandel, Innenstadt und Immobilienwirtschaft

Nostalgie überwindet keine Krisen

Wenn – wie so oft – über die Krise der Kaufhäuser gesprochen wird, wird vor allem der Einzelhandelsaspekt dieser Krise beleuchtet. Dabei ist der alles andere als neu. Die Relevanz der Kaufhäuser als kompetente Einkaufsstätte befindet sich seit Jahrzehnten im freien Fall.

Mit Nostalgie blicken vor allem ältere Menschen zurück auf das geliebte Warenhaus, eine nun leider nicht mehr zeitgemäße Betriebsform, die vielerorts nicht mehr wirtschaftlich betrieben werden kann, so dass sie geschlossen wird und Menschen ihren Arbeitsplatz verlieren. Am Beispiel Galeria Karstadt Kaufhof sollen es jetzt wieder 1.400 sein, 16 weitere Warenhäuser werden im Zuge der Übernahme durch das Investorenduo Bernd Beetz und Richard Baker bis Ende August 2024 zumachen. Fortsetzung folgt.

„Man sieht die Sonne langsam untergehen und erschrickt doch, wenn es plötzlich dunkel ist.“

Franz Kafka, Schriftsteller
Bild von Horten, dem Vorgänger von Galeria Karstadt Kaufhof in Reutlingen

Großimmobilie in Reutlingen: früher Horten, jetzt Galeria Karstadt Kaufhof – und in Zukunft …? Bild-Credit: Stadtarchiv Reutlingen, Foto: E. Maier

Deutsche Innenstädte in der Identitätskrise

Die Auswirkungen auf die deutschen Innenstädte durch die Schließung großer Warenhäuser werden rauf und runter diskutiert. Bestehender und drohender Leerstand von großen, stadtbildprägenden Schlüsselimmobilien in 1A-Lagen, der Teufelskreis aus dem Verlust von Frequenzbringern und damit einhergehend der Besuchsattraktivität führt in einer Abwärtsspirale zu einem immer schwächeren Einzelhandelsangebot und einem zunehmenden Bedeutungs- und Identitätsverlust der Innenstadt als Shopping-Standort.

„Kaufhaus zu vermieten“: Die Probleme der Immobilienwirtschaft mit dem Leerstand

Allen Beteiligten bewusst, aber in der verkürzten öffentlichen Diskussion seltener erwähnt wird der immobilienwirtschaftliche Aspekt der Krise: Es entsteht erheblicher Leerstand, der trotz exzellenter Lage oft nur unzureichend gefüllt werden kann, weil Nachnutzungskonzepte im seltensten Fall als rentable Investments abzubilden sind.

Sogenannte Single-Tenant-Nachnutzungen für Warenhäuser, also Vermietungen an nur einen Hauptmieter, gibt es im großen Einzelhandel gar nicht mehr – mit Ausnahme vielleicht von Möbelhäusern. Alternative Nutzungen (Büro, Hotel, Wohnen, Kultur, Entertainment) oder auch eine Nutzungsmischung (Mixed-use) machen in der Regel Investitionen in die Gebäudestruktur notwendig, erzielen aber – insbesondere in den heute vom Einzelhandel verlassenen Obergeschossen – noch immer keine mit dem Einzelhandel vergleichbaren Mieten.

Problem der Immobilienwirtschaft:

Sowohl der Verkauf als auch die Nachvermietung der leerfallenden Warenhausimmobilien ist aktuell eine äußerst schwierige Aufgabe mit meist wenig vielversprechenden Profitabilitätsprognosen.

Großes Kaufhaus von innen

Der Unterschied zwischen Warenhaus und Einkaufszentrum (Bild): Warenhäuser sind auf einen Betreiber ausgelegt (Single-Tenant), Einkaufszentren auf mehrere Mieter (Multi-Tenant).

Operation Leerstand: Das können Stadtverwaltungen tun

Welche Möglichkeiten der Einflussnahme haben Städte und welche Instrumente und Kompetenzen brauchen sie, um ihren Einfluss auf den Gesamtprozess rund um Großimmobilien nachhaltig zu nutzen?

Handeln, bevor Leerstand zu Stillstand wird

Man kann die Immobilienwirtschaft nicht zwingen, für eine schnelle Nachbelegung der Immobilie die Gewinnorientierung in ihrem Kerngeschäft aufzugeben. Andererseits führt das kontinuierliche Aussitzen der schlechten Marktsituation in einigen Städten nicht nur zu Leer-, sondern auch zu Stillstand, zu Investitionsstau und im schlimmsten Fall zu einem sichtbaren Niedergang, der die individuellen Standortqualitäten rund um die Großimmobilie dauerhaft gefährden kann. Dieser Verantwortung sollten sich Eigentümer:innen im eigenen – vor allem langfristigen – Interesse nicht entziehen.

Städte sollten (wenn sie es bisher noch nicht getan haben) dringend den Kontakt mit den Eigentümer:innen wirklich jeder Schlüsselimmobilie suchen und pflegen. Die aktuelle Marktdynamik im Einzelhandel deutet leider auf weitere Schließungen von Großflächen hin – derzeit kann man keine Schlüsselimmobilie als ungefährdet betrachten.

Die Marktdynamik deutet auf weitere Schließungen hin. Derzeit kann man keine Schlüsselimmobilie als ungefährdet betrachten.

Mathias Sander, Experte für Retail und Einzelhandel

Individuelle Lösungen anstreben

Allen Verantwortlichen muss klar sein, dass es für die Nachnutzung von Großimmobilien zwar einige gute Beispiele, aber eben keine Blaupause gibt. Eigentümer:innen, seriöse Berater:innen und Immobilienprofis können keine standardisierten Lösungen aus dem Ärmel schütteln. Sollte das doch der Fall sein, ist das mit einer großen Portion Skepsis zu betrachten, denn Standardlösungen bieten hier – wie auch beim Zentrenmanagement – eigentlich nie die passende Antwort auf (standort-)individuelle Problemstellungen.

Ausgangspunkt und Zielbild gemeinsam bestimmen

Wichtig ist im ersten Schritt, die Interessenlage der Eigentümer:innen zu verstehen sowie als Stadt selbst eine Idealvorstellung zu entwickeln. Diese Standpunkte sind durch regelmäßigen Austausch in eine Vision zu bringen, die von allen Beteiligten getragen wird. Zu klären sind dabei insbesondere:

  • die Investitionsperspektive der Eigentümer:innen (Halten oder Verkaufen?),
  • die Handlungsbereitschaft der Stadt (Erwerb der Immobilie vorstellbar?) und
  • die mittelfristigen Nutzungs- und Gestaltungsperspektiven der Immobilie.

Die Formulierung einer professionellen Vision unter Berücksichtigung der stadtgesellschaftlichen Bedürfnisse ist ein entscheidender Baustein, um sich als Stadt in den Gesprächen mit dem Eigentümer eine aktive Rolle zu sichern und Anreize zu definieren.

Bildhaft gesprochen:

Betrachtet man die Suche nach der besten Nachnutzung einer Warenhaus-Immobilie als eine Art Blindflug, dann ist der Eigentümer der Pilot und die Stadt der Co-Pilot. Das bedeutet: Städte haben Möglichkeiten der Einflussnahme.

Als Stadt die Vor-Ort-Expertise beisteuern

In aller Regel verfügt die Eigentümer:innen sehr schnell über irgendeine Art von Standortgutachten, meist mit einen hohen Generalisierungsgrad, das auf nationale oder gar internationale Vergleichswerte referenziert und globale Handlungsempfehlungen gibt. Diese Gutachten sind für eine Ersteinschätzung ausgesprochen hilfreich, verfügen aber im seltensten Fall über eine angemessene Würdigung der standortindividuellen Gegebenheiten.

Eine gut aufgestellte Wirtschaftsförderung oder ein starkes Zentrenmanagement kennt die wichtigsten regionalen Player in der Stadt sowie der Nachbarorte und ergänzt die Analyse um die lokalen Spezifika, die notwendig sind, um die Immobilie neu und nachhaltig zu profilieren. Und sie verfügen über gute Kontakte zu örtlichen Meinungsmacher:innen, potenziellen regionalen Kaufinteressierten und Nutzer:innen. Damit kann die Stadtverwaltung wertvolle Vermarktungskanäle öffnen, zu denen institutionelle Investor:innen und nationale Makler:innen kaum Zugang haben.

Im Prozess unterstützen: Ansprechperson für Eigentümer:innen anbieten

Nutzungsänderungsgenehmigungen, Brandschutzauflagen, Baugenehmigungen – im Zuge einer Nachnutzungskonzeption sind verschiedenste behördliche Prüfverfahren unumgänglich. Die unkomplizierte, zeit- und kosteneffektive Durchführung dieser Verfahren ist ein entscheidender Faktor, um die Immobilie zügig wieder neu positionieren zu können und liegt insofern im gemeinsamen Interesse von Eigentümer:in und Stadt.

Die Chance der Stadt liegt darin, eine Ansprechperson anzubieten, die Eigentümer:innen effektiv und zielführend durch die notwendigen administrativen Verfahren der einzelnen Behörden navigieren und ein belastbares Vertrauensverhältnis aufbauen kann.

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Großer Leerstand = große Gestaltungsmöglichkeiten für Städte

Die Marktlage war selten schwieriger, andererseits waren die Gestaltungsmöglichkeiten für die Städte selten größer. Gleiches gilt für den Kooperationswillen der Eigentümer:innen und Projektentwickler:innen. Die Erhaltung und Revitalisierung der Innenstädte ist mehr denn je eine gemeinschaftliche Aufgabe. Die Städte können von Eigentümer:innen von Schlüsselimmobilien berechtigterweise einfordern, Verantwortung zu übernehmen für die Qualität des Gesamtstandortes. Damit einher geht aber die Verpflichtung, die notwendigen Entwicklungsprozesse ihrerseits aktiv, kompetent und hilfsbereit zu unterstützen.

Fazit:

Die herausfordernde Situation öffnet den Städten Gestaltungsspielräume für innovative Lösungen und fruchtbare Kooperationen. Der Schlüssel zum Erfolg liegt stets in der Individualität des Konzeptes. Von standardisierten Verfahren und Lösungen ist dringend abzuraten.

„Vergangen nicht,
verwandelt ist, was war.“

Rainer Maria Rilke, Erzähler und Lyriker
Mathias Sander, Einzelhandelsexperte der Stadtmanufaktur

Mathias Sander

ist der Experte für Einzelhandel, Immobilienwirtschaft und Verkaufsstrategien bei der Stadtmanufaktur

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